"Im Kampf gegen den Faschismus ist nicht das geringste Anliegen,
die aufgedunsenen Führerimages auf das Maß ihrer Nichtigkeit zurückzuführen."
Adorno / Horkheimer: Dialektik der Aufklärung
Jepp, denkt sich Stulle, und: hamstibamsti, schmiert sich Schaum auf die Birne, direkt über der Stirne, mit 'nem Pinsel, 'nem dicken, und schwuppdiwupp, wa', ratscht er sich dann gekonnt die Stoppeln runter. Gar nicht so einfach: mit dem zweiten Spiegel so zu hantieren, dass sich ein Viereck bildet zwischen Auge, Schädel, Rasierklinge und Hand. Doch die Übung macht den Meister und: ritschratsch blitzt die Glatze blank. Ein letzter Blick, ein prüfender: dreht das Köpfchen, das dralle, er links und rechts und rechts und links, verharrt dann behäbig mit Bull-dozermiene vorm Spiegelschrank, fletscht die Zähne, das Maul, und: jepp, man ist zufrieden. Stulle, der Bulle, ins Pitbull-Shirt gepresst, ist trotzdem leicht gestresst: Wieder 'n Pickel, da wo man 'n sieht. Es ist zum Kotzen, und Drücken hilft nix: Die spriessen nach wie Dönerläden. Zum Verzweifeln! Aber: Marzahn ist Marzahn! Hier nicht, denkt sich Stulle. Der Bulle.
Husch husch, in die Stiefelchen, die lieblichen, daran noch das Blut vom letzten Schlachtzuch klebt: Niggerblut, vom Feinsten, denkt sich Stulle und grinst, grinst wie der Teufel, Monsieur Mephisto von Berlin. Dann: dummdidumm in den Lonsdale-Sweater, den kanackenblutroten. Doch ach: Dies Lonnnnssdayl, ey, klingt englisch. Muss vorne und hinten erst zurechtgedeutscht werden, jenau, ers' zurechtjedeutscht, denkt er, dann ers' is's Leitkultur. Summt: Ruckediguh, macht's Bomberjäcklein zu, lässt vorne einen Spalt, der Fettwanst, der wird kalt, was soll's, es ist für's Vaterland, für's NSDA-Paterland, darinnen fette Stullebullen im Gleichschritt Marsch! nach Adolf brullen. Kawumm, es fällt die Tür ins Schloss. Und Stulle steht im Freien. Er streicht sich noch einmal die Glatze glatt und schaut dann nach dem Rechten.
Klischee, Klischee, Herrjeminee, man könnte drüber lachen, wenn's nicht so verdammt traurig wär: so ein Biberkopp mit Glatze. Nüscht jelernt, nüscht ze valier'n, wa'... Franzeken, hört man's von ferne, und: Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Und der geht jetzt zu Milka. Milka, eigentlich Jilka, eine lilalatzhosige Nazikuh, emanzipiert und nazifiziert, mit Fransenhaar und Oitern, so prall wie Bananenstauden oder Riesenkohlrabiköpfe oder der Vollmond, ist schon ganz nervös, ein bisschen sauer auch, weil der Stulle heute wieder so lange braucht. Dem wird doch nix passiert sein, denkt sie, aber was soll dem auch schon passier'n, hier im schönen Marzahn. Da is man doch kwasi unter sich, unter uns, sozusagen. Das is ja das Ärgerliche, dass man zum Jugoklatschen imma so weit raus fahr'n muss. Die kommen ja nich freiwillig mehr hierher. Genau wie die Türken, die sitzen da wie Zecken in Kreuzberg und Neukölln, da is' nich' gut sein für unsereins. Denkt Milka. Und seufzt: Dass sie, persönlich, ja schon lang auch keinen Bimbo mehr geseh'n hat. Hier, im schönen Marzahn.
Rubdidubbrubbeldidubb, keucht Stulle übern Acker. Braune Erde, denkt er, und: Heimat. Rubdidubbrubbeldidubb, hechelt er übern Asphalt: Hart wie unsereins, kalt und unerbittlich. Und sieht nicht den Löwenzahn, den linken, der ihn untergräbt und sprengt. Rubdidubbrubbeldidubb, scharwenzelt er übers Pflaster: Stein für Stein ein Element des Ganzen. Wie bei uns: Mann für Mann ein Bollwerk fürs Germanentum. Rubdidubbrubbeldidubb, noch einmal um die Platte, dann isser da, bei Milka, der alten Jilka. Doch: Rubdidubbrubbeldidubb, steht da plötzlich, einfach mal eben so um die Ecke: 'ne Horde knüppelbewehrter Transen. Mann, seh'n die aus: In Tüll jewickelt, mit Spitzen drapiert, in güld'nem Schimmer, Pastell und Silberkrepp... Nieten, wa', die kennt er, doch pink'ne Leggings und orangene Schleifchen, Leoparden-High-Heels und Tigerminis, das ist dem Stulle doch zu fremd, zu krass, zu feminin. Stulle also stiert. Dem fall'n die Augen fast aus der Glatze. Doch schneller als ihm lieb, wird er geseh'n.
Eh, Schnuckel, fragt die Große, ja, du da in dem Grünen...
Wa', icke? fragt Herr Stulldibull. Wat soll dat denn? Wat soll dat denn?
Eh, Schnuckel, mach dich locker. Ick will ja nur wissen, ob de wat weeßt...
Wat soll ick denn wissen? fragt Strulldideldumm.
Na, ob de wen kennst...
Wen soll ick denn schon kennen? fragt Strunzdidumms.
Und alle: Oooh, der Dicke kennt keenen. Eene Runde Mitleid...
Und nach der Runde fragt die Große: Nen großen Blonden mit nem Schmuh-Tatoo?
Wat für'n Tatoo? fragt Dummdidumm.
Ja, so'n Schmuh halt, so'n Schmonz. Na, ürjendwat halt mit Hakenkreuz.
Hakenkreuze gübt's hür nüch, haucht spitzmaulfroschig Rummsdibumms.
Und alle: Hakenkreuze gübt's hür nüch. Hakenkreuze gübt's hür nüch. Und es entspinnt sich ein Reigen, ein Schnitzlerscher, von allerhöchster Qualität. Voll Anmut und Grazie. Ein High-Heel-Ballett mit Pitbullsupport. Jawollja, ein Reigen, und immer schön im Kreis. Und in der Mitte, mal hier mal da, die kahlköpfige Primaballerina, die superbe Primabulleria Stulla dal'Bulla. Hey hey! Und hops und ha, fallerifallera. Dreht sich schneller und schneller, aber: Hakenkreuze gübt's hür nüch, Hakenkreuze gübt's hür nüch.
Holla, he, schreit Eiderdaus.
Dann: Uiuiuih, das Ausdiemaus.
Als er wieder wach wird, der Stulle, da starrt er in zwei Augen. Ihm is' noch immer schwindlig und er würd' gern kotzen. Würd' gern kotzen, denkt Stulle. Kotzt aber nicht. Dann die Augen: so ungeschminkt, so blöd. Wer is dat denn? fragt sich Stulle. Den kenn ick doch, den kenn ick doch. Dat is aber nich mehr die Transe. Nee, det is Bokanowski, das Schwein vom Rhein. Und Bokanowski lacht: Blödheit macht sich breit auf dem aknezerfressenen Acker seiner Visage, einer Visage, die geschaffen ist, um hineinzutreten, reinzuschlagen mit Baseballschlägern und Schlagringen, jepp, eine pockennarbige Schlägerfresse, hasenschartig und zerklüftet wie ein Darmtumor, bloß noch stinkender. Diese maulwurfshaufenartige Ausstülpung auf seinem Hals, dieses elephantiasische Krebsgeschwür, das sich sein Gesicht schimpft, es dehnt sich kaugummiblasenartig nach allen Richtungen aus, schwillt an, verzieht sich epileptisch nach außen hin, zerquetscht die Augengegend zu schmalen Graten, zu eiweißhaltigen Rissen in rosig geblähtem Aspik. Diese fleischwolfzerstückelte Hackfleischepidermis, picklig und verrunzelt, eiterdurchtränkt von mitesserischen Tretminen, ja, dieser Todesstreifen, der Gesicht sein will, platzt förmlich unförmig aus allen Nähten, um Platz zu machen für ein Spektakel von gustafgründgenscher Dimension: Seine Nüstern blähen sich auf, seine Lefzen lefzen speichelgeladen zu den Außenseiten hin, pressen die Zunge heraus. Die Zähne bahnen sich ihren Weg ins Freie, raus aus diesem stinkenden Dickdarm, diesem kariös-paradontösen Fleischsarg. Blöd, dämlich, selbstvergessen, ein hirnloses Bild bildgewordener Hirnlosigkeit, verformt sich der Klumpen auf seinem Hals zu einer diabolisch-gorgonenhaften Fratze in dionysischer Verzücktheit, krank und geistesgestört, in bacchantischer Epilepsie erstarrend. Und ein Röcheln wie aus tausend Höllenschlünden durchzittert den Äther, rachitisch, unmaniriert, ein gebelltes Stakkato, schleimdurchschleimt hervorgekotzt. Man kann die Rotze widerhallen hören in diesem unartikulierten Höhlensystem, aus dem sich nun die Blödheit ihren Weg zur Oberfläche bahnt und den Maulwurfsauswurf durchzuckt in einem katarrhtischen Husten, das sich durch alle Mitesser, Pickel, Falten und Eitergräben fortsetzt, den Fleischklumpen zum Glibbern bringt, zum Bellen, Hüpfen, Würgen und Keuchen. Yeah, das Schwein vom Rhein, das lacht. Und nicht bloß der, sondern der ganze Haufe. Bulle sieht erst jetzt, dass da noch mehr sind. Und die gucken nicht grad lieb.
Bokanowski, so könnte man formulieren, ist so ziemlich der ärgste Feind von unserem Stulle, den wir inzwischen ja alle ganz doll liebjewonnen haben. Und der Bokanowski, der is kwasi sowas wie'n Obernazi, der Gauleiter von Berlin. Jawollja, sowas gibt es. Zweitausendeins, ehrlich. Nich etwa dreiunddreissigbisfünfundvierzig. Nee, zweitausendeins. Wie der Verlag! Und Stulle, der Bulle, der glotzt jetzt den Bokanowski an und der Bokanowski den Stulle. Klar, dass der die Chance jetzt ergreift, ihn fertig zu machen. Is ja ganz menschlich. Würd der Stulle wohl auch so machen, wenn die Lage für ihn ne bessere wär.
Bokanowski: Wat is denn det fürn Fummel, eh?
Und Stulle: Wat fürn Fummel?
Dann guckt er, guckt an sich rauf und guckt an sich runter. Und dann, dann wird er ganz blaß. Da hamm ihm die Tunten doch glatt nen ganz üblen Streich gespielt! Rosa! Stulle in rosa! Und dann rattert es in seinem Köpfchen. Langsam mahlen die Mühlen. Aber sie mahlen. Und was dann rauskommt, das Ergebnis des Mahlens, dat gibt en ganz doofes Bild. Nix mehr mit Pitbull und bummsfallera, nee, Tüllkleid und Straps is jetzt da. Wie soll er das bloß erklären...
Stulle nimmt Anlauf und sagt: Aber ick bin doch eener von euch!
Doch alljemeinet Hohnjelächter is der Dank.
Bokanowski: Eener von uns, wa'? Eener von uns! Hoho! Na denn woll'n wa' ma' seh'n, ob de eener von uns bist, ob de überhoopt wat weeßt – von uns. Jut, erste Frahje: Wann is des Führers Jebuhrtstach, zack zack?
Stulle, wie aus der Pistole geschossen: Zwanzichsta April achzehnneunundachzich.
Bokanowski: Donnalüttchen! Woll!
Da isser jetzt aber stolz, der Stulle, das so dufte jut jewusst zu haben. Da strahlt er jetzt janz doll. Wie'n Honigkuchenpferd. Mensch, da kiekst de, wa'... der Stulle, der hat's eenfach drauf. Janz beklückt und aussem Häuschen spielt er nu' mit den Troddeln an sei'm Kleid...
Bokanowski: Woll, woll! Det war ja ooch noch nich so diffizil. Aber weeßt de ooch, wann de Machtübanahme war? Jenauet Datum...
Stulle, schluckt, rechnet, dann: Dreissigsta Januar dreiundreissig.
Bokanowski: Woll! Und de Büchafabrennung?
Stulle: Zwöllefta, nee, zehnta Mai dreiunddreissig.
Bokanowski: Woll! Weeßt ja würklich was. Weeßt de ooch, wat Heinrich Heine kwasi antizi-pierend dazu jesacht hat?
Stulle: Na, dass wo Bücha fabrannt werden, man ooch Menschen fabrennt.
Bokanowski: Jenau! Und hatter Recht jehabt?
Stulle: Ne, im Dritten Reich wurde keener fabrannt. Det is Ketzergloobe.
Bokanowski: Supa! Jut uffjepasst! Und jetzt noch'n paar Frahjen zum Personenkult. Erste Frahje: Wie hiess Rudolf Heß mit Vornamen?
Stulle: Rudolf.
Bokanowski: Und Horst Wessel?
Stulle: Horst.
Bokanowski: Und Doktor Goebbels?
Stulle: Doktor.
Bokanowski: Was? Bitte korrigieren se sich!
Stulle: Hermann?
Bokanowski: Fallesch!!! Det war Göring!!! Hamm wa dich endlich, du Sau! Du schwule Verräter-sau! Jetzt hamm wa dich! Los, macht den platt, die Sau!! Totale Fanichtung!!!
Stulle: Aber...
Doch da trifft ihn schon der erste Tritt. Mitten in die tüllumwickelte Fresse. Und dann isser fällig. So richtig! Stiefelregen prasselt auf sein Haupt. Stahlkappengewitter! Blut spritzt. Zahn blitzt. Knüppel donnert. Schlagring saust. Stulle jammert. Führer braust. Keine Gnade, eins zwei drei. Ein Knüppelhagel – aus, vorbei. Und Stulle kotzt sein Blut.
Dann isser wieder alleene. Für ne Zeit. Bis die Jilka kömmt. Denn die macht sich Sorgen. Die guckt schon die ganze Zeit auf die Uhr, zählt die Minuten, denkt an Jugos und Türken. Dem wird doch nix passiert sein, denkt die die ganze Zeit. Und als sie's nicht mehr länger aushält zu Haus, da geht sie mal raus, mal kucken. Und was sieht sie da? Ihr'n Stulle auf'm Pflaster. Direkt vor ihrer Tür. Und wie der aussieht! Igitt! Der ist doch wieder strack! Gesoffen hat der, ganz klar! Ne Schande für die Sippschaft. Ne Schande in rosa, in Tüll, mit Schleifchen dran und Troddeln. Mein Jott, wird die sauer. So sauer, dass sie austickt. Und keene Gnade mehr kennt. Und dann reintritt in Stulles Fresse, und tritt, bis es sich festtritt, und tritt und tritt. Und tritt.