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Das sizilianische Pferd (2016)

"What the hell has happened to these Yakuza guys?", donnerte Johnny in die schnoddrige Runde der noch schnuddeligeren Spelunke irgendwo auf der Lower East Side, in der sich nun bereits seit drei Generationen die mächtigsten der Italo-Gauner wöchentlich einfanden, um über aktuelle Deals zu palavern. Klar, die Geschäfte im großen Stil waren passé, darüber war man sich schmerzlich einig, aber daß bei vierundzwanzig auf's Eintreiben gedrillten Jungs gerade mal soviel herauskam, daß es für die Miete des schäbigen Etablissements reichte, das war dann doch eine Spur zu hart für Johnny, den jüngsten Sproß der Zucchinis, die in glanzvolleren Tagen einmal halb "N.Y." kontrolliert hatten, und nun mangels fähiger Executives nahe daran waren, ihr Imperium für bankrott zu erklären.

"Was ist los mit euch guys?", schmetterte Johnny nun in die Runde, seine Jungs einer nach dem andern mit finsterem Blick taxierend. Es sollte jedem klar werden, daß ihm nicht nach Spaßen zumute war. "Wollt ihr, daß wir den Laden hier dicht machen? Ja, wollt ihr das? Wieder nach Sizilien ziehen und Katholikinnen bumsen? Ihr wißt doch, was unsere Väter und Großväter über Katholikinnen zu berichten wußten? Daß sie nämlich immer nur unten liegen und auch nur im Dunkeln ficken! Na, ist es das, was ihr wollt?" Ein besorgtes Raunen ging durch die Reihen. Man schüttelte die Köpfe. "Ihr könnt doch nichts außer Autos knacken und Schuldner vermöbeln. Seid doch mal realistisch!", schob Johnny hinterher, wohl wissend, daß er damit bereits seine beiden besten Trümpfe verspielt hatte. Aber er setzte voll auf den Effekt, alles oder nichts, bang boom bang. Wie eine schallende Ohrfeige schlug er seinen Männern das Endzeitszenario ins Gesicht. Sollten sie selber sehen, ob sie das durchstehen würden: Arbeitslos und mit einer Asexuellen verheiratet! Das mußte man sich mal vorstellen. So ganz plastisch...

"O.K. Jungs, ich habe nachgedacht. Wir haben keine andere Wahl! Was wir brauchen, ist ein richtig großes Ding, ein echter Coup! So einer wie damals, als Big Al, Gott hab ihn selig, mit seinen Jungs die Rockefeller Bank auf der Zweiundfünfzigsten hochgenommen hat. Tausend Cops waren ihnen auf den Fersen, aber gekriegt haben sie sie nicht! Und die zwanzig Millionen, die sie haben mitgehen lassen, auch nicht!"

"Yeah!", kam es aus den Reihen. "Laßt uns ein Ding drehen, ein richtiges Ding!"

"Genau!", sagte Johnny. "Die Zucchini-Yakuza muß mal wieder allen zeigen, wer sie ist und was man von ihr zu halten hat!" Und er sprang auf den Stammtisch und rappte den "Yakuza Bambini Zucchini Big Beat", das klassische Erbe Big Als, des Größten der Größten, des Poeten unter den Paten, des Mafioso virtuoso, das da lautete: "Hey Brüder, schwingt das Gaunerbein / Schlagt den Cops die Fressen ein / Dreht das Ding, bis alle kotzen / Und dämlich aus der Wäsche glotzen / Dreht das Ding, das ganz geniale / Tanzt den 'Zucchini triumphale' / Dreht das Ding, daß alle sehen / Woher die mächtigen Winde wehen." Und alle stimmten mit ein und tanzten den 'triumphale'. Und man fühlte sich wieder wie früher, so ganz eins im Geist und Streben. Und man war sich einig, man würde es drehen, das Ding, das sich gewaschen hatte, den Millionen-Coup, der Schlagzeilen machte...

... und er machte Schlagzeilen. Es war der erste Coup der Weltgeschichte, der so richtig Schlagzeilen, so richtig Furore machte, der mit Preisen ausgezeichnet wurde, das Prädikat "ästhetisch wertvoll" erhielt, der die Branche aufwühlte durch seinen Vorbildcharakter und die smarte Art seines Intellekts. Es war der Coup, die Hypostase des Coups schlechthin. Johnny war zufrieden. Und der Wirt der Schmuddelkneipe auch: Die Miete war bezahlt. Für die nächsten zehn Jahre... Doch wie kam plötzlich soviel Erfolg, soviel Geist zustande?

Nun, den entscheidenden Einfall hatte Bennito Bambini. Ihm kam die Idee mit der Skate-Parade. Nachdem man bereits mehrere Tage angestrengt, aber noch immer erfolglos nachgedacht hatte, rülpste Bennito plötzlich über sein Bierglas hinaus: "Schwammtechnik! Man muß die Bullen aufsaugen wie ein Schwamm!"

"Warum nicht gleich wie ein Staubsauger?", frotzelte Carlo Colucci.

"Weil es ein Schwamm sein muß! Mann, scheiß auf den Staubsauger!"

"Was meinst du damit?", fragte Johnny Zucchini, der das Potential der Idee begriffen hatte.

"Na, wir müssen irgendein Event schaffen, das möglichst viele Bullen bindet. 'Ne Skate-Parade oder sowas! Wir organisieren 'ne Skate-Parade!"

Schweigen. Alle sahen sich an. Mit Skate-Parades hatte noch keiner Erfahrungen gesammelt.

"Genial!", erkannte Giletto Conturi. "Das legt zudem auch noch den Verkehr lahm!"

"Wir könnten uns natürlich auch gleich irgendwo dranhängen", meinte Johnny. "Was gibt's denn in nächster Zeit alles an Umzügen? Marcello, schau doch mal im Netz, ob du was findest!"

Marcello Minestrone loggte sich unverzüglich über sein Smartphone ins Netz, suchte unter "www.newyork.com/city-info/~parades.html", was der August so alles an Straßenparaden zu bieten hatte, jörgte plötzlich schrillend zu den anderen rüber: "Christopher Street Day!" – worauf ein süffisant belletristisches Wiehern wie von tausend Kastraten den Raum erfüllte.

"Yeah, die Zucchini-Yakuza in Tüllkleid und Federboa!", quietschte Julia Grappa, die mit den Pinot-Brüdern Grigio und Noir einen Tunten-und-Transen-Laden unten an der Ecke zur Achtunddreißigsten führte und für derartige Fälle bestens gerüstet war. "Oder in Lack und Leder! Na, Johnny, wie wär's? So ein paar Nieten für den Häuptling..."

Es wurde eine lange Nacht. Verständlich, denn die Jungs von der Yakuza wollten weiß Gott nicht als Warmduscher in die Geschichte eingehen. Also wurde gezetert und verhandelt, gehetzt und sich verwandelt – und am Ende hatte doch jeder seins: der schüchterne Bennito einen Silberfummel, Giletto Conturi ein rosarotes Chiffonkleid, Carlo Colucci ein bauchfreies Batmankostüm, Marcello Minestrone ein Designerkleid aus recyclebaren Plastikmilchflaschen und die Schlägertruppe um Richie Ravioli und Rocco Rabiati schöne Lederkluften mit hinten heraushängenden roten und gelben Tüchern – als Zeichen, wer zu Richie und wer zu Rocco gehöre, sagte Julia, während die Pinot-Brüder sich vor Lachen beinahe in die Hosen pissten.

Probleme machten auch die Rollerblades. Die Mafiosi zeigten sich nicht gerade sportlich. Aber mit Blick auf den Coup und die Hall of Fame übten sich alle eifrig im Inline-Skating, Kickboard-Surfing und Skateboard-Tripping. Man stieg auf Big Beat um in der kleinen Schmuddelkneipe, hörte plötzlich Propellerheads und Prodigy, die Chemical Brothers und Fatboy Slim, Whale und Ash, Skunk Anansie und Moloko. Stil kehrte ein im trauten Heim. Die Stones mußten draußen bleiben, ebenso Johnny Cash und Tom Jones. Old School war out, ganz plötzlich, einfach so, von heut' auf morgen. Die Jungs trafen sich von nun an morgens um halb sieben zum gemeinsamen Jazz-Dance, zu Aerobic, Joggen und Kick-Boxen. Ein Sit-up-Club wurde eingerichtet, an dem auch Ältere teilnehmen konnten, ebenso ein Klimmzugkurs für die Schüchternen. An alle und alles wurde gedacht. Denn man hatte nur noch zwei Wochen – und noch immer keinen Plan, außer, daß man beim CSD, beim Christopher Street Day, mitmachen wollte, um die belegten Bullen und die verstopfte Stadt auszunutzen: für den Coup, den geilen, süßen, schneckigen Coup...

Marcello, der Netman, bestand darauf, daß der Coup live im Netz übertragen wurde. Auch überlegte man, wie man die lokalen Medien, das TV und die Presse miteinbeziehen könnte. Auch an Zeitungen overseas wurde gedacht, die FAZ etwa oder Le Monde. Auf der Website der internationalen Mafia-Vereinigung (www.vendetta.siz) ergoss man sich in gewagten Anspielungen. Beinahe wäre man so übermütig gewesen, die New Yorker Polizei selbst miteinzubeziehen – aber der Realismus Carlo Coluccis hielt die Zucchinis dann doch noch zurück. Einzig Marcello war nicht davon abzubringen, und so einigte man sich darauf, den Bullen eine Mail mit angeheftetem Virus zu schicken, weil es gerade Mode war und man auf die Blödheit der Beamten spekulierte. Zu recht, wie sich herausstellte. Denn wenig später lag das Intranet der gesamten New York State Departement Police in Schutt und Asche.

Über so viel Dämlichkeit zutiefst erfreut, sann Marcello gemeinsam mit Bennito den nächsten fiesen Schachzug aus: Man setzte Logophagen ein. Logophagen waren kleine Störfrequenzen, die sich über GSM in alle Dualband-Netze einschießen ließen, dort ein paar Sekunden wegfraßen, um sie hier und da ein wenig fehlzuplazieren. Logophagen waren also hervorragend geeignet, um den lästigen Polizeifunk auszuschalten bzw. so durcheinanderzubringen, daß von Kommunikation keine Rede mehr sein konnte. Zudem galt es in Mafiakreisen gemeinhin als ästhetisch anspruchsvoll, wenn es gelang, den Bullenfunk mit in seine Pläne zu integrieren. Aber so ästhetisch, das wußte Marcello, hatte ihnen bisher noch niemand ins Netzwerk gepfuscht.

Johnny indes widmete sich angestrengt dem New Yorker Stadtplan. Er verglich die CSD-Route mit dem Lageplan der wichtigsten Banken der Stadt – und kam aus dem Fluchen fast nicht mehr raus. Es gab nur drei Banken, die in unmittelbarer Nähe der Parade – und damit mitten im erwarteten Verkehrschaos – lagen: die Federal Reserve Bank of New York, eine kleine Filiale der Citybank und die Sizilianische Landesbank. Erstere war eine der am besten bewachten Banken der Welt, in der mittleren gab es außer Pfandbriefen nichts zu holen und die letzte, tja, da hatte man mehr oder weniger sein eigenes Konto im Visier... Blieb also nur die Federal Reserve, die am CSD von einer Horde wildgewordener Tunten und Lederkerle geentert werden sollte. "Na dann, Prost!", dachte Johnny.

Vierzehn Tage später, Downtown Manhattan, vor der Federal Hall. Hier sollte die diesjährige Parade beginnen. Hier sollten sich alle sammeln, um dann gemeinsam zur Christopher Street zu pilgern. Über die Nassau Street sollte es bis zur Liberty Street gehen, dann über Broadway und Trinity Place zur Greenwich Street, am ehemaligen World Trade Center vorbei und weiter Richtung Norden, über den West Broadway, die Varick Street, die 7th Avenue und Bleeker Street bis zum Ziel, wo dann Reden gehalten werden würden, und eine große Straßenparty mit Musik die Protestanten erwartete. Diesen letzten Teil des Umzugs wollten die Yakuzi auslassen. Johnny Zucchini, Bennito Bambini, Giletto Conturi, Marcello Minestrone, Julia Grappa, die Pinot-Brüder Grigio und Noir und die Schlägertruppe um Richie Ravioli und Rocco Rabiati interessierten nur die ersten 300 Meter. Der Weg von der Federall Hall in die Liberty Street, Nummer 33, um genau zu sein. Denn dort lag ihr Ziel, die Federal Reserve Bank of New York. Die mit Abstand größte Goldreserve der Vereinigten Staaten.

15.00 Uhr. “Boombabalooga boombabaloo!" – wie aus Abermillionen tuntigen Kehlen erklang der Schlachtruf der Meute und zerschellte an den Glasfassaden der sich nach oben in den Himmel schraubenden Versicherungszentralen und Rechtsanwaltbüros. "Boombabalooga boombabaloo!“ – setzte sich der Marsch in Bewegung, wie von einer Tarantel gestochen. Ein Bild für die Götter: der fleischgewordene Veitstanz. Überall sah man Regenbogen-Fahnen und bunte Pride-Luftballons, Damen mit Bärten und Herren im Kleid. Es gab die Oben-ohne-Fraktion und die Unten-ohne-, die Komplett-ohne- und die Komplett-mit-. Man konnte eine wandelnde Freiheitsstatue bestaunen, bunt bemalt und mit einer Penisfackel in der Hand, konnte Nackte in Käfigen begaffen, einen Amor mit Pfeil und Bogen, schwule Engel und himmlische Transen. Es gab stolze Feuergestalten und Lesben im Dirndl, eine Medusa mit Pimmelschlangen, Femmes und Butchs mit Femme- und Butch-T-Shirts sowie Braut und Bräutigam in Personalunion. Und dann gab es noch die Harten, die Testosteron++ Fraktion, die, mit Leder und Latex bewehrt, sich kaum von den Polizisten unterschieden, die dafür sorgten, dass es nicht zu Ausschreitungen kam.

Es war ein wirklich buntes Häufchen Amerika, das hier zusammengekommen war und feierte, gedachte und protestierte. Viel bunter als es so manchem lieb war. So gab es nicht nur Gejohle und Gekreische, sondern auch Geschimpfe und Gepfeife. Ein Höllenlärm jedenfalls, der die Anwohner verschreckte und Polizei und Ordnungshelfern höchste Präsenz und Aufmerksamkeit abverlangte. Genau das also, worauf die Zucchinis spekuliert hatten. Auf verschiedene Gruppen und Umzugswägen verteilt, gröhlten und johlten sie fröhlich mit, hielten Plakate hoch mit Sprüchen drauf wie „Gay is good!“ und „Hey Mom, guess what...“, tanzten hier ein bisschen und züngelten dort, machten spaßige Selfies und kecke Popöschen, und drängelten sich irgendwann, in der Nähe der Federal Reserve Bank of New York, aus dem Umzug hinaus und in die Menge hinein, wurden von Begafften zu Gaffern und sammelten sich schließlich genau vor der Bank. Um mit ihren Skateboards und Rollerblades, Inlinern und Longboards, Carvern und Cruisern, Dancern und Wakeboards, Freeridern und Penny Boards, Scootern und Kickboards, Swindlern und Twistern, Powerslides und Stunt Skates bei Drei den Laden zu stürmen und, bevor sich’s einer versah, das gesamte Wachpersonal und alle Angestellten, die sich im Foyer aufhielten, binnen Sekunden zu überwältigen, zu fesseln und zu knebeln.

Damit hatte niemand gerechnet. Echt nicht! Dass die Bank, ihre geliebte FED, einmal von Tunten und Transen, Lederschwuchteln und Latex-Boys hochgenommen werden würde. Nein, jetzt mal im Ernst: wer denkt denn sowas? Eben noch stand man geschlossen an den Fenstern und machte sich über die da lustig – und jetzt standen sie plötzlich hier, mit ihren High Heels und Kalaschnikows, ihren Tüllschleifchen und AK47s. Und man selbst lag geknebelt auf dem Marmorboden und wusste nicht mehr, wie einem geschah.

Doch nun ist die FED nicht wie jede andere Bank, so mit Schaltern und Kassen, ATMs und Pennern, die einem die Tür aufhalten, damit man ihnen ein paar Cents rüberschiebt. Es gibt da auch keine Schalterbeamten, bei denen man seine Überweisungen tätigt oder seinen Wochenlohn in bar auf ein Konto einzahlt. Die FED ist ganz anders. Weniger Bank als Tresor, mehr Museum als Bank. Man kann sich hier informieren. Wie das mit der FED so läuft. Und man kann in den Vault, den Tresorraum, und schauen, wie einem 500.000 Goldbarren als Kulisse so stehen. Mehr eigentlich nicht. Wenn man nicht gerade der Zentralbankchef eines Landes ist, das hier seine Goldvorräte gebunkert hat. Und für Tunten und Transen und Leder-Boys hat die FED nicht mal ein Lächeln übrig.

Marcello, der Netman, hatte die beiden Türsteher-Bullen mit einem gezielten Karateschlag erledigt, Giletto setzte den Vulkanischen Nervengriff gegen zwei weitere Bullen ein, die ihn gerade Hopps nehmen wollten, die Schlägertruppe um Richie Ravioli und Rocco Rabiati knöpfte sich die Angestellten vor und Johnny rief den Aufzug. Ratz Fatz war man im Keller und tanzte noch einen schnellen Cancan, bevor man sich an der Tresortür zu schaffen machte, die natürlich von fremder Hand nicht so einfach zu knacken war. Denn der Tresor wird durch ein umfassendes, mehrschichtiges Sicherheitssystem gesichert, in dessen Zentrum ein 90-Tonnen-Stahlzylinder steht, der den einzigen Zugang zum Tresorraum versperrt. Dieser neun Meter hohe Zylinder ist in einer 140 Tonnen schweren Stahl-Beton-Fassung verankert, die für einen luft- und wasserdichten Verschluss sorgt. Vier Stahlstangen arrettieren den Zylinder per Zeitschaltuhr und geben den Tresor und seinen Inhalt – das Gold und vermeintliche Einbrecher – erst wieder am nächsten Arbeitstag frei. Zugegeben, es gibt einfachere Ziele. Doch die Zucchinis wollten keine einfachen Ziele, sondern einen echten, großartigen Coup.

Was also machten sie? Sie machten sich nackig! Und ihre Gefangenen gleich mit! Und sie tauschten die Klamotten und sahen nun aus wie Polizisten und Bankangestellte, während diese, geknebelt, gefesselt und hinreichend verprügelt, wiederum aussahen wie gewaltsam überwältigte Verbrechertunten. So weit Teil 1 des Plans. Teil 2 bestand nun darin, das Sicherheitspersonal zu rufen sowie den Direktor des Hauses. Binnen weniger Minuten waren diese zur Stelle, gratulierten zum Sieg, zur Überwältigung der Diebe. Der Direktor war begeistert und trat jedem der Gefesselten sogar noch einmal persönlich in den Bauch. Worauf sich das Mhmh und Winden und Recken noch einmal kurz verstärkte, bevor es in tiefe Resignation überging.

„Ist denn noch alles im Safe?“, wollte der Direktor wissen.

„Das wissen wir nicht“, antwortete Johnny darauf und Julia Grappa ergänzte: „Die Diebe hatten uns mit Lachgas betäubt. Keine Ahnung, wie erfolgreich sie bereits waren.“

„Dann schauen wir halt nach!“, erwiderte darauf der Direktor und öffnete den Tresor mit seinem Fingerabdruck und einem Netzhaut-Scan.

Das war dann auch das Letzte, was er an diesem Tage tat. Und ebenso das Wachpersonal. Ratzfatz war es von den Mafiosi überwältigt: 12 Maschinengewehre gegen 6 Revolver waren einfach ein alle überzeugendes Argument.

Teil 3 des Plans war nun ein Kinderspiel. Man lud das Gold, so viel man konnte, in die Panzerwägen und Dienstfahrzeuge in der Tiefgarage der FED, sperrte das Wachpersonal und die Bankangestellten mit ein paar Tellern selbstgekochter sizilianischer Zucchini-Caponata und ein paar Flaschen selbst-erpressten sizilianischen Weins in den Tresor, versperrte alle Eingänge mit „Heute geschlossen. Sind beim CSD“-Schildern und löschte in allen unteren Stockwerken das Licht.

Dann öffnete man das Rollgittertor der Tiefgarage und fuhr als von Sicherheitsbeamten eskortierter Konvoi gemütlich über die Liberty Street Richtung Südosten, dann über die Water Street zur Pearl Street, um am Chatham Square in die Bowery einzubiegen und über die Hester Street nach Little Italy zu gelangen, wo man irgendwo in der Nähe der Ferrara Bakery in einer Hinterhof-Garage unter einem sizilianischen Rollgittertor verschwand, unbeachtet und unbeobachtet von Polizei und CSD-Besuchern, Manhattan-Bewohnern und Touristenvolk.

Als die Polizei am Montag darauf die FED stürmte, hatten sich die Bankangestellten und Wachposten inzwischen von ihren Fesseln befreit. Nur ihre tuntige Aufmachung erinnerte noch daran, dass sie Opfer eines Bankraubs geworden waren. Über der verbrauchten Luft des Tresorraums lag ein leicht säuerlicher Geruch von Urin und Kot, leicht durchzogen von einem Hauch sizilianischer Gewürze. Der Direktor musste seinen Posten räumen, sämtliches Personal wurde vom Dienst suspendiert und gefeuert.

Es fehlten 670 Goldbarren à 12,5 kg. Der Schaden belief sich auf rund 300 Mio. Dollar.

Die Presse war begeistert! Was für ein Coup – und wie simpel und clever! Niemand war ernsthaft verletzt worden, kein Schuss war gefallen, keine Geiseln gemacht. Es gab keine Toten und keinen Schaden. Bloß die Blamage, die hochnotpeinliche Peinlichkeit.

Okay, die LGBT-Szene fühlte sich verraten. War aber auch ein bisschen stolz. Das amerikanische Volk fühlte sich gefoppt – samt aller Staaten, die ihm ihr Gold anvertraut hatten. In Deutschland fühlte man mit, Frankreich wetzte die Messer, China forderte schnelle Aufklärung und veröffentlichte eine Liste sämtlicher Strategeme, die bei diesem Raubzug angewendet worden waren (u.a. Den Kaiser täuschen und das Meer überqueren, Mit dem Messer eines Anderen töten, Ein Feuer für einen Raub ausnutzen, Im Osten lärmen, im Westen angreifen, Etwas aus einem Nichts erzeugen, Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen, Mit leichter Hand das Schaf wegführen, Das Wasser trüben, um die Fische zu ergreifen, Die Zikade wirft ihre goldglänzende Haut ab, Die Türe schließen, um den Dieb zu fangen, Verrücktheit mimen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, Dürre Bäume mit künstlichen Blüten schmücken, Die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umkehren, Die List der schönen Frau, Die Ketten-Strategie und Weglaufen ist die beste Methode), Argentinien schlachtete ein goldenes Kalb, Kuba lachte lauthals, Russland ärgerte sich über so viel Dämlichkeit, Israel bezichtigte die Muslime, die Muslime bezichtigten Israel, Iran schob die Schuld auf Irak, Irak vermutete Taliban hinter der Tat, Al Quaida, hieß es plötzlich, stecke dahinter, der IS bekannte sich zu der Tat.

Sizilien schwieg und pfiff auf die Kirche.

Im Jahr darauf gab’s einen Babyboom.