Taddäus Quentus, seines Zeichens gelernter Hühnerverkäufer und außerhalb von Werktagen ein Freidenker radikalster Art, schlenderte eines sonnendurchfluteten Tages im Spätherbst des Jahres eintausendachthundertundsiebzehn gregorianischer Zählung in sein Lieblingscafé zwei Häuserblocks weiter, wobei ihm seine Nachbarin Frau Constanze Jacobsen begegnete, die ihm, wie schon so oft zuvor, wenn ihr Mann bereits über drei Monate auf See verweilte, schöne Augen machte, deren unergründliche Bläue auch Taddäus Quentus, dem redlichen und rechtschaffenen Bürger aus dem Stockwerk über ihr, nicht verborgen geblieben waren; doch ließ er sich, auch wenn es ihm ein leichtes gewesen wäre, nie zu solcherlei Schandtaten verführen, des ungehobelten Nachbars verlockende Frau etwa auf deren seidenbestickter Tischdecke im friesischen Herrenzimmer zu nehmen. Nein, Taddäus Quentus gehörte fürwahr nicht zu der Sorte Männer, die derlei Gelegenheiten für die Erleichterung ihrer samenstrotzenden Genitalien ausnutzten; vielmehr war es in seinem Sinn, daran selbst Hand anzulegen, was er des Öfteren im Verborgenen seiner Schreibstube denn auch tat, streng darauf bedacht, die Entwicklung seiner Rückenmarksstruktur im Auge zu behalten, war es doch der Glaube seiner Zeit, daß unnötig häufiges Zipfeln zum Schwund derselben führen sollte, was jedoch in wissenschaftlicher Weise in keinerlei Traktat niedergeschrieben stand und Taddäus Quentus dazu veranlaßte, dieses unkalkulierbare Risiko bisweilen einzugehen, wenn auch, wie bereits erwähnt, in nicht allzu leichtfertiger Weise.
Constanze Jacobsen, noch in der Blüte ihres Lebens, dürstete jedoch ab und an nach männlicher Gesellschaft, und so blieb keine Gelegenheit ungenutzt, sich diese zu verschaffen, was ihr in der Vergangenheit denn auch des öfteren gelungen war, sei es durch ihr betörendes Augenzwinkern, dem kein Mann widerstehen konnte oder schlicht durch ihre sokratische Überredungskunst, der ebenfalls kein Mann widerstand. Bis auf Taddäus Quentus, der, bis über die Stadtmauern für seine Standhaftigkeit berühmt, sich niemals den animalischen Niederungen seiner Begierde hingab, handelte es sich bei der von seiner Manneskraft Begünstigten nicht ausschließlich um ein Weibsbild, das er auch noch nach diesen Stunden der Freude sein eigen nennen wollte. So war es kaum befremdlich, daß er im Falle Constanze Jacobsens, die so nah und doch schon vergeben, seine Tugend bewahren wollte, anstatt ihrem ach so sanften Drängen nachzugeben.
Die holde Nachbarin trug ein purpurnes Spitzenhäubchen zu einem drapierten Kleid mit schottischem Karomuster in den allerlustigsten Farben, darunter auch Flieder und Rosmarin, ja Nelke sogar und Alabaster, und darunter schauten zwei Schühchen italienischer Machart hervor, ein Beweis des guten Geschmacks, so fand Taddäus, als er ihr freundlich einen guten Morgen wünschte und sie im gleichen Atemzug ihrer verzückenden Aufmachung schalt, bei der die Männer wohl in Heerscharen dahinschmelzen mußten. Constanze Jacobsen verlor angesichts dieser frühmorgendlichen Komplimente ein wenig die Kontrolle über ihr Selbst, drehte als Folge dessen eine Pirouette auf den Pflastersteinen der schmalen Gasse, worauf sie von den artigen Hausfrauen ringsum mit abschätzigen Blicken bedacht wurde. Aber auch das konnte ihr sonniges Gemüt an diesem schönen Tage nicht verbittern, sah und hörte sie doch nur, wie die wohltuenden Worte aus des Mannes Munde flossen, dem sie insgeheim schon seit langem ihr Herz geschenkt hatte. So stand sie denn auch, tunlichst darauf bedacht, ihren Nachbarn aufs Neue von ihren vielfältigen Qualitäten zu überzeugen, so da wären: Heiterkeit an warmen Tagen, Ausgelassenheit auch in vornehmer Gesellschaft, Willenlosigkeit in Abwesenheit ihres Mannes sowie das bezauberndste Lächeln diesseits der Stadtmauern. Ja, Constanze verheimlichte nichts von alledem auf der offenen Straße, was unseren braven Bürger Taddäus Quentus ein wenig verwirrte, war er doch die smarte Gesellschaft seiner Freidenkerkreise gewohnt und das unflätige Betragen der Viehhändler und Tagediebe in seinem Hühnerverkaufsbureau.
Die gute Constanze war gerade vom Markt gekommen, wo es ihr gelungen war, hier und da ein Schnäppchen zu schlagen. Nun aber zitterte sie unter der schweren Last und den leichten Gedanken wie Espenlaub im Spätherbst und wollte sich gar selbst nicht eingestehen, daß sie den werten Nachbarn noch am liebsten hier vor allen Leuten vernascht hätte. Aber das ging natürlich nicht und so überlegte sie, wie es wohl am geschicktesten anzufangen wäre, das Ersehnte zu erlangen. Die Idee kam prompt und unverhofft: Sie mußte ihn ja nur bitten, ihr beim Tragen der schweren Einkäufe beiseite zu stehen, was sie mit Verweis auf ihre geschwollenen Hände denn auch tat.
Taddäus Quentus, wenn auch in Cafélaune, ließ sich nicht lange bitten, griff der Hoffenden unter die Arme und befreite sie von ihrer schweren Last. Sie schlenderten gemeinsam die Gasse hinunter zu ihrer beider Haus, nicht ohne Argwohn bei den ansässigen Bewohnern zu erzeugen, stiegen die Treppe hinauf und verschwanden in der Jacobsenschen Wohnung, was, mit Verlaub, so manchen der Schaulustigen zu verwegenen Mutmaßungen hinreißen ließ. Nicht jedoch Taddäus Quentus, den Bürger mit der rechten Gesinnung. Er stellte die Körbe und Taschen brav auf den Küchentisch und wollte sich schon empfehlen, als ihm Constanze weinenden Auges zu verstehen gab, er solle doch bleiben und ihr ein wenig Gesellschaft leisten. Sie führte ihn ins friesische Herrenzimmer, drückte ihn in einen Sessel und gab ihm leichthin zu verstehen, was sie wünschte, daß er tun sollte; führte seine Hand an ihren Schenkeln entlang, gab ihm die Gunst auch, an ihrem Busen zu ruhen und das pralle Fleisch zu durchforsten. Taddäus merkte schnell, wohin dies führen sollte, und da er sich selbst in die Pflicht genommen, sprang er auf, sprach einige Worte des Bedauerns, empfahl sich und eilte aus der Wohnung der Jacobsens hinaus, nicht ohne sich noch einmal zu vergewissern, ob ihm die Tolle nicht folge. Als er endlich in seinem Lieblingscafé saß und die Zeitung in der Hand hielt, schien ihm der Tag sehr vielversprechend und er sehnte in Gedanken schon das nächste Abenteuer herbei. Die Wirtin brachte ihm alsbald denn auch seinen Kaffee, den er am liebsten schwarz und ohne Zucker trank.
Honigsüß und liebestrunken, kam ein Mann hereingeschwungen, der sich Friedbert Freigeist schalt. Taddäus Quentus, ganz versunken in diverse Staatszeitungen, plötzlich stutzt, ihm eine knallt, ohne sich die Müh' zu machen, sein Verhalten zu erklären, infolgedessen Friedbert Freigeist wutentbrannt zum Degen greift, um seiner Wut ihr'n Lauf zu lassen, weh' einer sich ihm in den Weg stell'n tut. Friede, Freude, Eierkuchen, ruft die Wirtsfrau aus entsetzt, wollt ihr mein Café zertrümmern? raus mit euch, euch geht's nicht gut. So geschah's, daß beide Hünen zu duellier'n in nahen Dünen sich auf den nächsten Tag vertagten und nicht an ihrem Mut verzagten, der jedem seinen Sieg versprach.
Taddäus Quentus, ganz behände, zog sich zurück in seine eig'nen vier Wände, um just sein Testament zu schreiben, worin er auch Constanze bedacht, für den Fall, der unwahrscheinlich, er nimmermehr zurücke käm'. Als die holde Maid dies hörte, was sie voll und ganz verstörte, kam sie schnell heraufgestürzt, dem edlen Mann ihr Herz zu öffnen, der indessen selbst bestürzt über sein vorschnelles Handeln, die Koffer und Constanze packte, ein wenig Holz für später hackte und still und heimlich die Stadt verließ. Unterwegs ward viel geschäkert und in Shakespeares 'Sturm' geschmökert, was bisweilen sehr verdrießlich und mitunter auch genüßlich, gar herzensfroh vonstatten ging. Das Ziel der Reise lag im Argen, da alle Ziel' Gefahren bargen, nichtsdestotrotz man locker blieb. Auch psychologisch, sieht man ab von Kleinigkeiten, die im Trab der Pferde plötzlich hochgeschossen kamen, schlossen und genossen beide ihr Beisammensein.
An einem Wirtshaus in der Ödnis ward verweilt, bis voller Blödnis der Wirt des Hauses inneward, daß ausgerechnet seine Gäste, die unvergleichlich feige Geste des Verrats an Friedbert Freigeist, einem Freund des Wirts, begingen. Constanze sprach von andern Dingen. Doch da der Wirtsmann wollt' nicht enden, mußte man Gewalt anwenden: Folgerichtig wurd' beschlossen, daß der Wirt in Gips gegossen ein weitaus geringeres Risiko sei. Festgemauert in der Erden ließen sie den Wirt dann steh'n; denn was sollt' aus ihnen werden, blieb' der Wirt – der Rächer! – frei?
Von überall tönten die Glocken, als sein Schwund bemängelt ward, doch Taddäus und Constanze waren längst in wilder Fahrt über Stock und Stein geflüchtet, ja, weit gereist, so wird berichtet, wovon im Folgenden die Rede sei.
Schäferstündchen noch und nöcher, die beiden wurden frech und frecher und liebestrunken und verwegen – Arkadien war Dreck dagegen. Den Morgen nahm man wahr verschwommen und blieb bis abends meist benommen, obwohl zunächst man war beklommen: wie sollte man im Gehen Kommen?
Doch bei so manchen Orgien in Lappland und Georgien, wurd' die Technik stets verbessert. Die Könnerschaft blieb unverwässert – auch als man sich mit Katholiken, dem Papst gar und manch Troglodyten, auf muselmannschem Boden paarte, auch Hermaphroditen um sich scharte.
Das Ziel war klar: Ekstasien, ein Kleinstaat in Kleinasien – dort, hieß es, blieb man unbeschadet, unrasiert und ungebadet, selbst wenn Constanzens Gatte, die hintergangene Wasserratte, mit Verweis auf deutsche Sitten, käm' wutentbrannt dahergeritten, zu holen das ungetreue Frauenzimmer zurücke ins friesische Herrenzimmer. Doch nichts geschah, weshalb die beiden, sich täglich mehr und besser leiden, und bumsen, ficken, blasen, rammeln, tagein tagaus im Bett vergammeln, statt wie zuvor in Deutschen Landen, wie alle andern Hirnverbrannten, sich zur Sittlichkeit zu bekennen. Doch Schluß damit, sie woll'n jetzt pennen.
Und die Moral von der Geschicht: Moral gibt's in Ekstasien nicht.