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Chameleon Inside (1998)

Photo by Toa Heftiba on Unsplash

Zu viele Romeos. Über Sockentausch und den Traumprinzen,
Schubladen und Rilke

Hey Traummann! Gutaussehend, über 1,70 m, gut gebaut, tierlieb und im Besitz des gewissen Etwas? Super! Ich, 22, 1,65 m, blond, etwas mollig. Mollig! Und blond! Nein danke! Hallo Jungs! Ich (17) verzweifle langsam. Jetzt schon? Mit 17? Gibt's denn keine mehr von euch, die noch nicht verheiratet oder in einer langen Beziehung. Weiter! Grünäugige Grübchenhexe (26/164/ 55) sucht einen Mann zum Nächtedurchquatschen, Knuddeln, Tanzen, zum Sternezählen, Essengehen, Gemüsekaufen und Sockentauschen. Schick mir ein Foto, dann befrag ich die Kugel. Schick mir deine Socken und ich geb mir die Kugel. Und überhaupt, 55 Kilo bei 1,64. Selbstbewußte, tierliebe Sie. Ja, ja, tierlieb ist schon verdammt wichtig. Sucht nicht den Traumprinz, aber einen Prinzen zum Träumen und zur Verwirklichung dieses Traumes. Bitte? Zum Verwirklichen des Traumes vom Träumen mit dem Traumprinz? Oder zum Verwirklichen des Traumprinzen beim Träumen eines Traumes, in dem der Traumprinz, ein tierlieber freilich, die selbstbewußte Sie an der Hand und sie zur Brust und auf die Schenkel? Wovon spricht die Frau? Doch da! Was ist das? Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Blonder Engel (25, 174, 60), hübsch, intelligent und normal-neurotisch, sucht gefallenen Engel zum Wandeln auf blaugrauer Welt. Chiffre 2389. Meine Rilke, mein Herzblatt, mein Italien!

Dreh ich am Radio, kommt Echt. Zu viele Romeos. Stimmt. Und hier in der Stadt ist auch nix mehr los. Nochmal Blick in die Kontaktanzeigen. Sie sucht Ihn: drei Spalten, Werbung ausgenommen. Er sucht Sie: das Doppelte. Echt: Zu viele Romeos. Aber Rilke! Ich schreib ihr, ihr schreib ihr nicht, ich will sie, ich will sie nicht. Normal-neurotisch, klingt gut. Beruhigend, aber nicht eben aufregend. Gute Optik ist erwünscht, Kopf und Bauch entscheiden.

12.00 Uhr. Die Nachrichten. Berlin. Bundeskanzler Schröder traf sich gestern abend mit Delegierten der städtischen Stromversorger. Aufgrund der Öffnung des Strommarktes befürchten die städtischen Stromversorger zukünftig nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Tja, so ist halt das Leben. Ich schlürfe am Kaffee und frage mich, ob Schröder wohl auch bei mir vorbeischauen würde. Aufgrund zu vieler Romeos befürchte ich zukünftig und mit sofortiger Wirkung nicht mehr konkurrenzfähig, dabei sehe ich gar nicht mal so beschissen, aber die anderen wohl auch nicht, es sei denn, Frauen gefallen sich darin, mit schnurrbarttragenden Oberharrys, Fokuhilas in Adidas oder aalglatt gebürsteten Schau-mir-in-die-Hose-Kleines-Aufreißertypen den Rest ihres meist ohnehin schon vermurksten Sekretärinnendaseins zu verschwenden. Aber das ist ja nur die eine Seite. Die andere sieht so aus, daß sonnenbankgebräunte Bankiers- und Maklertöchter mit Beinen bis zum Himmel und Kopf entsprechend über den Wolken, fernab jeglicher Realität und ohne Sinn für Otto-Nicht-schlecht-Verdiener, A3 bis Z3 fahrend, husch husch im Seidennegligé, sich cocktailschlürfend, technolauschend, in Gucci, Prada oder Chanel gehüllt, mit Barkeepertypen und Türsteherfressen. Aber auch das nur ein Extrem. Dazwischen, in den rund drei Milliarden Schubladen von Schick bis Schande, macht jede ihr eigenes Ding. Das glauben sie zumindest. Dabei, und ich meckere ja gar nicht, sind sie alle mehr oder weniger gleich, nerven rum, laufen aus, ficken mechanisch, unbeholfen oder gar nisch. Und sie hüllen sich, ja sie hüllen sich in Arroganz, Verletzlichkeit, in Mutterrollen und in Businessneid. Et cetera. Was soll's? Bei so vielen Romeos.

Ruft Beckmann an. Beckmann spielt Bass, studiert Psychologie und liest Kerouac und Boroughs.

Beckmann: Morgen. Hab ich dich geweckt?

Ich: Nö, bin schon beim Frühstück.

Beckmann: Paß mal auf, ich hab da was für dich.

Ich: Schieß los.

Beckmann erklärt, er organisiere gerade ein Festival für junge Kunst und Musik. Künstler und Bands hätte er schon, Sponsoren auch. Fehlt noch ein PR-Text, und ob ich das übernehmen könne. Kann ich. Alles klar, abgemacht, unter Dach und Fach. Und ach, ob ich gleich mal vorbeikommen könne, er wolle mir dann alles erklären. Auch das.

Beckmann: Na dann tschö und bis gleich.

Ich: Jo, tschö und bis gleich.

Ideal Standard. Über Xanthippen im Bus und Vögeln im Walde

Innen / Tag. Ein mickriges Badezimmer, ohne Wanne, mit Dusche. 50er-Jahre-Flair: Die Fliesen sind sehr entgegenkommend, der Wasserhahn tropft. Duschvorhang: Karstadt (Goldfische und blaue Streifen), Klo von Ideal Standard (steht zumindest drauf), Spiegel vom Flohmarkt, Kunst: diverse. Unser Protagonist kommt zur Tür hereingeflogen, ist kurz etwas irritiert über die Anwesenheit des Autors, faßt sich aber sofort wieder, will sich schon aufs Klo setzen, als er den Regisseur mitsamt dessen Kamerateam unter dem Waschbecken erblickt und wutentbrannt alle rausschmeißt, weshalb über die Aktivitäten unseres Helden im Bad nichts bezeugt werden kann. Das aber, so glaubt wohl, werden alle hernach bestätigen: Daß unser Protagonist, ein wahrhaft edler seines Wesens, nach seiner Morgentoilette gar fein erfrischt wieder im Kreise seiner Beobachter erschien. Geduscht war er und frisch geölt, sein Haar gefönt und wohl gebürstet. Auf seinem Antlitz lag ein Lächeln, mild und weise, und seine Augen strahlten dem ersten Tag entgegen, den wir nun gemeinsam mit unserem Helden verbringen wollen. Zurücke also ins Präsens. Subjektive Kamera. Mit deinen Augen sehen, das wär' mein größtes Glück.

Ich muß mich beeilen, es ist schon halb eins durch und mein Bus geht in fünf Minuten. Beckmann wird schon warten. Ich also nix wie raus aus dem Bad und rein in die Klamotten: Jeans von Levi's, ca. 150 Mark, Hemd von Hugo, ca. 190 Mark, Jacke vom Flohmarkt, keine Ahnung mehr wie teuer, und husch husch in die Schühchen, von Cox, glatte 200. Geh' grad zur Tür raus, kommt schon der Bus. Ich also nehm' die Beine in die Hand und renne hinterher. Hab ihn schon, an der Ampel, und bin noch vor ihm an der Halte.

Kaum bin ich drin, suche ich erfolglos nach einem freien Haltegriff. Denn das Spiel, das nun beginnt, heißt im Fachjargon "Fahrgast-Ping-Pong" und besteht im wesentlichen aus Voll-bremsung und anschließendem Bleifuß. Großmütterchen und Kleinkinderchen fliegen dabei lustig kreuz und quer durch die Gänge, schlagen sich Kinn und Nase blutig (10 Punkte), bevor sie wieder zurückgeschleudert werden (5 Punkte) und sich in den Gesichtern anderer Fahrgäste festbeißen (25 Punkte), bis sie endlich – kollabierend und paranoid – an der nächsten Haltestelle vornüber aus dem Bus kippen (50 Punkte) und damit drei Runden aussetzen müssen. Das ist unterhaltsam und versüßt jede Fahrt. Sofern man einen Sitzplatz hat. Mir wird natürlich sofort schlecht. Und ich kralle mich in meiner Verzweiflung an die nächstbeste Frau.

Ey, keift die, die Xanthippe, die Olle, laß mich sofort wieder los. Und ich schau' sie an, die Xanthippe, die Tolle, und möcht' sie nie mehr lassen. Los! Sag was zu ihr, du Penner, du Raumverschwender, du Nichts. Sag was! Oder laß andere für dich sprechen: Laß Blumen sprechen, laß Blicke sprechen, laß dein Auftreten für dich sprechen, deine Klamotten, deine Frisur, dein Alter Ego. Bloß sag' endlich was, du Penner.

Hei, sag ich. Und: Entschuldigung.

Jetzt laß mich endlich lohos! Lohoslassen sollst du mich! wütet die Xanthippe.

Ob sie mich wohl niederschlägt? frag ich im Stillen in mir selbst. Und halte Stellung.

Wooosh! Kommt ein Faustschlag geflogen, prallt auf mich nieder, fall' auf den Schoß. Die Vögelein zwitschern im Walde, warte nur, balde vögeln wir auch.

Chameleon Inside. Über Tiefengynäkologie und Ohnmachtsphantasien

Klingele ich also bei Beckmann. Der Kopf schmerzt noch, aber dafür hab' ich ihre Nummer. Die Xanthippe heißt Jil, ist sonst sehr liebenswert, will aber nicht befummelt werden, außer wenn sie will. Sie wollte wohl grad' nicht, wer weiß schon, wann die Weiber wollen, und wenn ja, dann wie, und ob sie's grad' hart oder eher so angenehm, und ob ich lieber die Hose gleich anlassen oder Kamasutra nach Kapiteln.

Macht Beckmann auf, in Boxershorts und Strümpfen, kariert und gestreift.

Ich: Wußte gar nicht, daß du Brustwarzenpiercings hast. Macht sich gut zu den Socken.

Beckmann: Danke, Mann. Und wer ist das?

Ich: Mein Regisseur und sein Kamerateam. Stör dich nicht dran. Die drehen bloß einen Film über mich.

Beckmann: (grinst) FSK ab 18?

Ich: Kommt drauf an, was mir noch alles so passiert.

Beckmann: (zu allen) Na, dann rein, (und zu mir) dann erlebst du gleich mal was. Bock auf Ficken?

Ich: Was, mit dir?

Beckmann: Nee, Dagmar und Esther sind da.

Ich: Ach, die mal wieder.

Der Tonmann: Was läuft da eigentlich für Musik? Was für's Festival?

Beckmann: Ja, Chameleon Inside heißen die, sind ganz nett. Vor allem der Basser. Aber jetzt kommt erst mal mit – in der nächsten Szene wird gefickt!

Der Regisseur klatscht in die Hände und freut sich. Kamera und Licht sind postiert, der Assistent gibt das Zeichen zur ersten Klappe. Unser Protagonist ist etwas nervös, weil er noch nie vor laufender Kamera Sex hatte. Ihn plagen Versagensängste, aber er versucht sich nichts anmerken zu lassen und wirft sich galant zwischen Esthers Beine.

Esther hat eine sehr liebenswürdige Möse, fein zurechtrasiert, so daß man die Klitoris gut erkennen kann, wenn man die Schamlippen ein wenig auseinanderzieht. Diese sind nicht sehr ausgeprägt, weshalb man nicht lange ziehen muß, bis man die inneren Schamlippen entdeckt und den Weg zu Esthers Innerem. Esther ist innen ganz rosa und ich schaue sehr fasziniert und voller Respekt in sie rein. Später, als ich das gleiche bei Dagmar versuche – Dagmars Scham-lippen sind übrigens etwas größer und faltiger, auch ein bißchen dunkler als die von Esther – packt sie mich am Kopf und preßt mich an sich ran. Bleibt mir also nur noch die Haptik, meine Zunge, und mit der taste ich die Konturen ihres Inneren ab. Siegesgewiß spaziere ich Richtung G-Punkt, hinterlasse einen Gruß an der Spirale, schlängele mich vorbei, verteile mich doppel-züngig, promeniere zu den Eierstöcken, wage den Eisprung, fall auf die Schnauze, probiere es noch einmal, versage abermals, doch geil wie im Wahnwitz, von der Tarantel gestochen, renn ich wie wild immer aufs Neue hoch aufs Sprungbrett und wage den Eisprung, dort unten, in Dagmars Innerem, ganz tief drin, und wage den Eisprung, den mächtigen, wilden, waghalsigen Eisprung, ich springe und falle, schlag auf, steh auf, rappel mich auf, klettere rauf, zum Sprungbrett hinauf, springe wieder, fall in Dagmars Innerem herum, fall tiefer und tiefer und tiefer, alles wird schwarz, beklemmend schwarz, und dann plötzlich, ganz plötzlich steht das Chamäleon vor mir mit Augen wie Marty Feldman oder Jean-Paul Sartre oder beide zusammen, und es schielt mich an und dreht seinen Kopf und blinzelt mir zu, das Chamäleon, und es öffnet das Maul mit seinen krüppeligen Zähnen und blinzelt mir zu und öffnet das Maul, und es ist hell im Maul, aus dem Maul kommt ein Licht, ganz warm und gemütlich, Dagmars Inneres färbt sich jetzt gelblich, und die Laterne im Maul winkt mir zu und winkt und hypnotisiert mich, und ich werde müde und lächle wie blöd, irgendwie auch stickig hier unten, aber die Laterne im Maul, ganz gemütlich andererseits, und das Vieh, das Chamäleon, das glotzt ganz lieb und blinzelt und winkt mit der Laterne, und ich döse allmählich ein, mit der Laterne winkt es und blinzelt, ganz lieb, ganz lieb, doch plötzlich macht's Klatsch! und ich hab eine hängen, und da klebt plötzlich was, und das Licht ist aus, und es zieht und es macht, und es wird wild und es ruckt und zuckt wie ein Fisch an der Angel, doch der Fisch, der bin ich, und das Maul, es kommt näher, das Chamäleon saugt mich ein, doch ich hänge und bin stark und ich zieh und bin stark, mit gleichen Kräften ziehen wir, ich und das Chamäleon, und ich reiße meine Zunge herum, mit letzter Kraft, sauge sie zurück, lecke an den Eierstöcken vorbei, quietsche am Eileiter entlang, quetsch mich an der Spirale vorbei, bleibe hängen, bin wie festgesaugt, eingeklemmt, das Chamäleon wütet und kommt herangeritten wie der Tod und der Teufel, und ich zieh, und das Chamäleon, es kommt herangewalzt, das Chamäleon, und ich zieh, zieh wie ein Irrer, zieh wie ein Gaul, flutsche raus und jappse, Luuuuuft, Luuuuuft, während Beckmann mir auf den Rücken klopft und ich huste und jappse.

Als ich wieder zuhause bin, ist mir mein Versagen peinlich. Der Regisseur sagt, er drehe in Videotechnik, ich bräuchte mir also keine Sorgen über seine Kosten zu machen. Sehr verständnisvoll. Das Kamerateam grinst bloß. Ich weiß noch immer nichts über das Festival. Beckmann meint, die PR-Sache habe noch Zeit. Ruf ich also Jil an und verabrede mich mit ihr.

Neustart. Über die Dramaturgie des Lebens und meine Zukunft in der Hölle

21:30 Uhr. Wir treffen uns im "Sankt J.", einer Szenekneipe am Markt. Jil trägt eine Hose von G-Star, ca. 160 Mark, Ziegenfellfelljacke von Luciano Barbera, ca. 1900 Mark, Wildseidenhemd mit Pailletten von Etro, ca. 680 Mark, Schuhe von Prada, ca. 480 Mark. Ich in einem Anzug von Boss, ca. 1150 Mark, T-Shirt von H&M, ca. 20 Mark, Schuhe von Mexx, ca. 240 Mark. Man kann sich sehen lassen.

"Hast du jemals über die Dramaturgie deines Lebens nachgedacht?", frage ich. "Ich meine, daß manche Situationen zwar wahnsinnig schön sind, aber immer noch zu fade, um filmreif zu sein. Vielleicht stören nur irgendwelche Kleinigkeiten, das Licht, ein blödsinniges Wort, die falsche Unterhose. Jedenfalls ist der Moment dann futsch und nicht mehr eben perfekt."

"Warum willst du denn perfekte Momente?"

"Weil ich gefilmt werde, beobachtet von einem Autor, einem Regisseur und dessen Kamera-team. Ich will denen was bieten. Aber alles, was ich mache, geht schief. Ich kenne die falschen Leute, erlebe die falschen Sachen, falle unter dem Leistungsdruck in Ohnmacht. Ich fühle mich so banal, so unliterarisch." Ich stöhne. "Du bist meine letzte Hoffnung."

Jil sieht mich etwas verständnislos an. Zweifellos überlegt sie, ob sie nicht besser wieder gehen soll. Schließlich könnte auch sie sich als unliterarisch outen. Und wer will das schon?

"Du meinst also, ich könnte dir helfen, filmreif zu werden, ja?"

"Gewissermaßen. Wir könnten verrückte Dinge tun, uns verliebte Blicke zuwerfen, im Regen barfuß durch Pfützen hüpfen, lauter so romantisches Zeug halt."

"Du bist zynisch!"

"Nein, verzweifelt! Ich brauche eine Geschichte, und für diese Geschichte brauche ich dich! Ich will nicht als Loser dastehen..."

Der Regisseur zeigt ermunternd mit dem Daumen nach oben und prostet mir mit seinem Bier zu. Ich bin also auf dem richtigen Weg. Ich erzähle Jil vom Anfang der Geschichte, wie ich in der Küche sitze und die Kontaktanzeigen studiere. Ich erzähle ihr von diesem Lied, "Zu viele Romeos", erzähle ihr von Schröder und den Stromversorgern, erzähle ihr von Sockentausch und dem Traumprinzen, erzähle ihr von Rilke und...

"Rilke? Na, das ist doch ein prima Einstieg", fällt sie mir ins Wort. "Rilke heißt in Wirklichkeit Jil, du schreibst ihr, erhältst Antwort, ihr verliebt euch..."

"Würdest du das für mich tun?", frage ich hoffnungstrahlend.

"Aber natürlich! Wenn du mir versprichst, daß es keine Sexszenen mehr gibt."

Ich verspreche es und wir verabreden uns für anderntags zum Frühstück.

Morgens steht Mephisto an meinem Bett (Hörner von S.A.T.A.N., Perücke von Faust, Mantel: Yoshimoto, Boots von Camel), zieht sich die Wimpern nach, manikürt sich die Finger, sagt: Deine Seele geht trotzdem zum Teufel. Ich: Ach? Er: Ja, aber du kannst sie noch retten. Ich: Schieß los! Mephisto: Also, du müßtest dem Meister drei andere dafür bringen. Ich: Kinderspiel. Aber, Dialektiker, der ich bin, frag' ich mich, was dann mit meiner eigenen passiert! Meffi (etwas piepsig): Wieso? Meine Seele: Na, weil ich doch dann nicht mehr in die Hölle kommen kann, und im Himmel will mich nach dem Deal wohl auch keiner mehr. Mephisto stutzt, zischt, das wüßte er auch nicht, käme aber wieder und dann, ja dann... Ich schnappe mir also den Pudel, in den er sich just verwandelt, renne in die Küche, schlachte das Vieh, seziere es auf dem Küchentisch. (Das ganze dauert gut zehn Minuten.) In seinem Magen finde ich Schwefelreste, sein Darm ist voller Briketts. Das also war des Pudels Kern, flüstere ich, entsorge das Tier ganz profimäßig in einem schwarzen Müllsack, den ich vor die Tore der Stadt karre, ständig in der Angst, gesehen zu werden. (Das dauert nochmals gut 50 Minuten.) Doch alles geht gut. Als Jil zum Frühstück antanzt (Hose von Timezone, Sweater von Chiemsee, Pudelmütze von Oma), stinkt es in der Küche zwar noch immer etwas nach Schwefel, aber mit einem Hinweis auf die Streichhölzer ist die Sache gegessen für sie. Tja, da hab ich ja wieder mal richtig Glück gehabt. Teufel nochmal.

Zweiter Dreh. Über Braunfilter, Mahler und den Goldenen Bär

Gegen elf klingelt es an der Tür, der Autor und das Filmteam. Wir besprechen kurz die neue Situation. Der Regisseur zeigt sich begeistert und freut sich schon auf auf einen Goldenen Bär. Er bespricht mit dem Kameramann, einen Braunfilter einzusetzen und Schwenks zu vermeiden. Jil gibt mir aufmunternd einen Kuß, sagt, wir würden uns ja bald schon kennenlernen und verlieben. Dann verschwindet sie zu den anderen, hinter die Kamera. Ich bin wieder allein, muß mir ein zweites Frühstück einverleiben und so tun, als suchte ich nach der Traumfrau.

Ich stelle das Radio diesmal ab und lege stattdessen Mahler auf, das Adagietto aus der Fünften: Gustav von Aschenbach, wie er am Anfang von "Der Tod in Venedig" auf der Fähre durch die Lagune schwebt, wo ihn Eros und Thanatos bereits erwarten. Ich schlage das Live!-Heft auf, blättere, die Kontaktanzeigen, Sehnsucht in meinem Blick, ich muß nichts sagen, der Regisseur will später eine Stimme aus dem off über die Szene legen. Ich warte, zähle die Zeit, schlürfe am Kaffee, jetzt ungefähr müßte ich auf Rilke stoßen, wie romantisch, ich lasse die Tasse fallen, wie zufällig, die Musik steigert sich zum Höhepunkt, jetzt, die Violinen, klagend, sehnsuchtsvoll, dramatisch schlage ich eine Hand aufs Herz, mache auf ergriffen, die Kamera fährt langsam um mich herum, zoomt auf mein Gesicht, leichtes Entzücken ist jetzt angebracht, bin ich also leicht entzückt, raufe aus der Tischschublade Papier und Stift, schreibe Rilke – was, höre ich später aus dem off.

Schnitt. Der Regisseur ist begeistert, Jil umarmt mich, liegt liebestrunken an meinem Hals. Das alles sieht man natürlich nicht, die Kamera ist schließlich ausgeschaltet. Kurze Besprechung über den weiteren Verlauf. Ich sehne mich nach Jil, das heißt Rilke, nein, doch Jil, ICH sehne mich nach Jil, mein Darsteller sehnt sich nach Rilke, die er erst noch kennenlernen muß, diese Rilke, gespielt von Jil, die sich dann als sich selbst entpuppt. Aber keine Sexszene, ich weiß, nicht im Film. Auch nicht in der Wirklichkeit? Ich lege mich ins Zeug, übertreffe mich selbst. Man sieht mich triefnassen Auges im strömenden Regen über Brücken und Pfützen gehen, ich werde zum Romantiker stilisiert, fast glaube ich es selbst.

Eine alte Frau verkauft Vergißmeinnichtsträußchen, ich zeige ihr meine leeren Hosentaschen, sie schenkt mir einen Strauß, ist das Jil mit achtzig? Die Wolkendecke reißt dramatisch auf, der erste Sonnenstrahl fällt auf mich, stigmatiert mich, einen Jesus mit blutunterlaufenen Augen. Ich irre durch die Stadt, trostlose Betonfassaden, potemkinsche Gesichter, ein Bettler, ich schenke ihm den Blumenstrauß, er lädt mich ein auf die Hälfte seines Biers, ich lächle melan-cholisch in die Kamera, trinke, ziehe weiter, werde von Passanten angerempelt, lasse es mir gefallen, es ist schließlich für den Goldenen Bär, der Regisseur liegt mir zu Füßen, ich schüttele ihn ab, verzehre mich nach Rilke, nach Jil.

Nach einem hemmungslosen Besäufnis und einer Schlägerei mit glücklichem Ausgang wache ich morgens verkatert auf. Mephisto steht jetzt nicht mehr neben mir, es ist schließlich ein romantischer Film, einer mit Happy End, ohne verkaufte Seelen, dafür mit Herz. Da, ein Brief im Kasten. Absender Rilke. Die Kamera zoomt auf meine Hände, die zittern. Ich reiße halb bewußt-los den Brief auf, überfliege die Zeilen, da, die Telefonnummer, ich wähle, der Hörer zittert, der Zuschauer auch, da, ihre Stimme, wir reden, Begleitmusik: das Klavierkonzert Opus 16 von Edvard Grieg, ja, es ist ein romantischer Film, und wir rennen, man sieht uns rennen, Jil und mich, und die Sonne scheint und wir fallen uns in die Arme, küssen uns leidenschaftlich und alles ist gut. Es fallen die richtigen Worte, wir sprechen von Liebe und Ewigkeit, von Erhabenem und Schönheit. Wir streiten über Kunst, schmusen zu Beethoven, lesen uns Gedichte vor von Rilke und Rose Ausländer und "Es ist, was es ist, sagt die Liebe". Man sieht uns lachen und weinen, ja, es ist ein romantischer Film, geradezu herzzerreißend. Die Dame in der ersten Reihe verbraucht schon ihr zweites Taschentuch, der Regisseur hat den Goldenen Bär bekommen und Jil und ich sind ein Paar, im Abspann stehen unsere Namen und die des Bettlers und der alten Blumenverkäuferin, Dagmar und Esther klatschen, Beckmann ist sauer, weil man ihn nicht nackt sieht und weil sein Festival für junge Kunst und Musik nur ganz am Rande drin vorkommt, und Jil gibt mir einen Kuß auf die Wange, sagt, es hätte ihr Spaß gemacht, aber sie müsse jetzt wieder in die Realität zurück, sie sei mit dem Autor verabredet, der ihr ein Angebot gemacht habe für die Hauptrolle in seinem nächsten Buch, und ich verstehe gar nichts mehr, und das Chamäleon springt aus der Leinwand und springt auf mich drauf. Es öffnet das Maul, auf der Zunge steht Mephisto, und der lächelt und grinst und zeigt auf Gerhard Schröder, der in eine SPD-Fahne eingerollt ist und von den städtischen Stromversorgern mit Stromschlägen gefoltert wird, und Mephisto grinst und sagt: Willkommen in der Hölle! und ich schwöre mir: Nie wieder Busfahren!